Artikel im Südkurier vom 06.09.2011
Schwarzwald-Baar – Wenn der Beruf dein Hobby ist, musst du nie mehr arbeiten: Frei nach diesem Motto hat Barbara Hendricks-Kaiser einen Gutteil ihrer Sommerferien am Arbeitsplatz verbracht. Der ist zur Zeit von diversen Baustellen gekennzeichnet – sichtbaren und unsichtbaren. Die Studiendirektorin aus Bad Dürrheim ist neue Leiterin der Albert-Schweitzer-Schule in Villingen-Schwenningen und dort sind derzeit Handwerker mit Hochdruck zu Gange – die Renovierung des Altbaus muss zum Schuljahresbeginn fertig gestellt sein. Ebenso Lehr- und Stundenpläne für beeindruckende 21 Schularten, die das Schulwerk in Trägerschaft des Landkreises unter einem Dach vereint. Außerdem und vor allem bereitet die Frontfrau der Albert-Schweitzer-Schule deren weitere Profilierung als duale Bildungs- und Ausbildungsschmiede vor, und zwar durch gut verzahnte Konzepte für die Bedürfnisse der rund 1100 Schüler und zugleich für den Bedarf der heimischen Wirtschaft. Hendricks-Kaiser will darum die Kooperation sowohl mit „Zuliefer-Schulen“ als auch mit Ausbildungsbetrieben intensivieren. Sie übernahm das Steuer von Erwin Eisenmann in einer schwierigen Phase. Das deutsche Schulwesen wird seit Jahren kritisch hinterfragt, die Länder laborieren an eigenständigen Bildungssystemen herum, mit dem Regierungswechsel in Stuttgart werden in Baden-Württemberg neue Modelle wie Werkreal- und Ganztagesschule ein weiteres Mal modifiziert.
Die Unruhe in der Bildungslandschaft spiegelt sich auch in Personalproblemen wider – mancherorts können vakante Schulleiterstellen aus Bewerbermangel nur noch mit Mühe besetzt werden. In der Albert-Schweitzer-Schule war das anders; Barbara Hendricks-Kaiser zögerte „nicht sehr lange“, als sie gefragt wurde, am kommenden Montag beginnt ihr erstes vollständiges Schuljahr als Chefin auch des 85-köpfigen Kollegiums. Zu dem gehört sie seit 1988, ist also mit den pädagogischen Herausforderungen bestens vertraut und auch die strukturellen sind ihr nicht fremd. Im Rahmen ihres Deputats war sie während der letzten Jahre tageweise als Fachberaterin für Regierungspräsidium und Kultusministerium frei gestellt, hat sich etwa um Lehrerfortbildung und Prüfungsziele gekümmert. Sie organisiert gern und mag es, Konzepte gründlich zu durchdenken und weiterzuentwickeln. „Wo wollen wir ihn?“ ist für sie die entscheidende Frage, Ausgangspunkt für alle Überlegungen müsse sein, „was für den einzelnen Schüler gut ist.“ Individuelle Förderung wird groß geschrieben in der Albert-Schweitzer-Schule, mit 21 Schularten ist der Radius der Möglichkeiten riesig, die Klientel entsprechend heterogen. Die Schüler kommen mit und ohne Abschluss, die Hälfte besucht eine Berufsschule, die andere will einen allgemeinen Bildungsabschluss machen. Auf dem Schulhof treffen angehende Abiturienten der drei Gymnasien mit Förder-, Haupt-, und Berufsschülern aufeinander, manche Auszubildende leben während schulischer Phasen im Internat, das die pädagogische Servicepalette abrundet. Das Angebotssortiment wurde im vergangenen Jahr um ein Sozialwissenschaftliches Gymnasium (SG) ausgeweitet, das im Erweiterungsbau mit acht neuen Klassenzimmern untergebracht ist. Zum Schuljahresbeginn am kommenden Montag startet ein zweiter Zug mit 60 Schülerinnen und Schülern im SG. Wartelisten dafür verdeutlichen die Marktlücke, generell sei Schülerschwund an der Albert-Schweitzer-Schule „kein Thema“.
Weiteres Novum im September ist der Einstieg in die Ganztagesschule mit einer Klasse, die den Hauptschulabschluss erwirbt und zugleich auf die Berufswelt vorbereitet wird. Verpflichtend sind Mittagstisch, Hausaufgabenbetreuung und Lernangebote, während eine zweite Hauptschulklasse den Berufseinstieg ohne Ganztagesbetreuung schaffen soll. Neu sind auch Biotechnologie als eigenes Gymnasialfach und Englischunterricht in den Berufsschulen.
„Wir haben viele Baustellen“, stellt Barbara Hendricks-Kaiser beim Gang durch die Flure fest, wo noch eifrig gewerkelt und geputzt wird. Im neuen Schuljahr startet auch die modellhafte Kooperation mit Förderschulen der Umgebung. Vorläufig wird jeweils eine Klasse mit angestammter Lehrkraft wöchentlich einen Tag in der Albert-Schweitzer-Schule verbringen; Ziel ist die Etablierung einer eigenen Förderschul-Klasse im Jahr 2013. Ängste von Eltern, ihre begabten Söhne und Töchter könnten beim Unterricht mit lernschwächeren Kindern zu kurz kommen, hält die dreifache Mutter für unbegründet. „Die Starken helfen den Schwachen und lernen selbst dabei“, ist ihre Überzeugung. Außerdem: „Es gibt kein Kind, das nichts kann. Jedes hat Stärken.“ Die Vielfalt sei spannend und Merkmal der Schule, die Schülern auch einen Wechsel der Schulart ohne Wechsel der Schule ermöglicht. Für das Kollegium stelle die inhaltliche und didaktische Spannbreite eine enorme Herausforderung dar; unverzichtbar sei ständige Fortbildung. Alle Lehrkräfte unterrichten in mehreren Schularten und müssen ihren Stoff entsprechend differenziert vermitteln. Neue Albert-Schweitzer-Schüler sind bereits 16 Jahre alt und älter, haben also stets eine schulische Vorgeschichte und bleiben nur ein bis drei Jahre im Schulwerk. Für Berufsschüler erschwert zudem der Blockunterricht das Entstehen einer Klassengemeinschaft und Mitarbeit in der SMV (Schüler-Mitverantwortung). „Es gelingt trotzdem“, stellt die Schulleiterin fest.